Der Streik der usbekischen und kasachischen LKW-Fahrer auf der Raststätte Gräfenhausen ist beendet. In der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik rück-te er den Fokus auf die zum Teil katastrophalen Bedingungen, unter denen man-che Fahrer in Europa arbeiten müssen. Ein anderer Aspekt kam erst zur Sprache, als die Medien das Ende des Streiks schon verfrüht verkündet hatten: Das laten-te und nicht zu unterschätzende Risiko, dass Ladung bei Konflikten in der Transportkette als Geisel genommen wird.

Das Bild zwigt drei LKWS auf einem RastplatzDas „Sozialdumping“ auf Europas Straßen und die systematischen Verstöße mancher Transportunternehmen gegen bestehende gesetzliche Vorschriften sind seit Jahren be-kannt. Zuletzt hat die EU 2022 noch einmal durch das Mobilitätspaket I neue Regelun-gen und Sozialvorschriften in Kraft gesetzt. Dies allein wird auch in Zukunft nicht zur Beseitigung von Missständen führen. Denn offenbar besteht seit Jahren ein großes Kon-troll- und Vollzugsdefizit in den Mitgliedsstaaten. Die Einblicke, die beispielsweise Hauptinspektor Raymond Lausberg von der belgischen Polizei in Vorträgen und Inter-views in seine Arbeit in Belgien an der Grenze zu Deutschland gewährt, machen die Dramatik der Situation auch für Außenstehende überdeutlich.

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Seit dem 23.03.2021 liegt die EVER GIVEN nun in Ägypten, zuerst quer im Suezkanal, nun „an der Kette“ im Großen Bittersee. Am 07.04. machte die Suez Canal Authority (SCA) als Eigentümerin, Verwalterin und Betreiberin des Suezkanals Schadenersatz in Höhe von 916 Mio. USD geltend und ließ Schiff und Ladung arrestieren. Dieser Umstand und die enorme Höhe des Schadenersatzes machen es unwahrscheinlich, dass das Schiff mit den von ihm transportierten ca. 18.000 Container seine Fahrt in Kürze fortsetzen kann. Was bedeutet das für Unternehmen, die ein wirtschaftliches Interesse an den Gütern haben und die Versicherungen, bei denen sie versichert sind? 

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Am 22.04.2021 haben die Eigner wohl „Widerspruch“ gegen den Arrest der SCA eingelegt. In einem Termin am 04.05.2021 vor dem zuständigen Gericht in Ismailia wurde das  Rechtsmittel der Eigner zurückgewiesen. Ein weiterer Termin soll nun am 22.05.2021 stattfinden. Sollten sich die Parteien nicht vergleichsweise einigen oder das Schiff gegen eine entsprechende Sicherheit freigegeben werden, wird es noch längere Zeit im Bittersee liegen bleiben. Verderbliche Ware könnte dann zerstört sein. Waren, die Gegenstand von Fixgeschäften waren, werden eventuell nicht mehr benötigt. Käufer könnten zwischenzeitlich wegen Lieferverzuges vom Kaufvertrag zurückgetreten sein oder sie nicht mehr benötigen, da sie vom Verkäufer oder anderweitige Deckungskäufe Ersatz erhalten haben.

In diesen Fällen stellt sich die Frage, was mit der Ware auf der EVER GIVEN geschieht und wer den entstandenen Schaden zahlt. Diese Frage stellt sich auf drei Ebenen: Auf der des Kaufvertrages, auf der des Transportversicherungsvertrages, wenn ein solcher abgeschlossen wurde und schließlich auf der des Transportvertrages, aufgrund dessen der Container auf der EVER GIVEN transportiert wird.

KAUFVERTRAG

Waren, die sich auf der EVER GIVEN befinden, kommen überwiegend aus Asien. Ein grenzüberschreitender Kaufvertrag dürfte daher die Regel sein. Auf solche Verträge ist häufig das CISG (sog. UN-Kaufrecht) anwendbar, wenn es nicht ausgeschlossen wurde. Bei Anwendbarkeit des CISG wird die Transportgefahr ebenso wie bei Anwendbarkeit des BGB häufig mit Übergabe der Sendung durch den Verkäufer an den ersten Frachtführer auf den Käufer übergehen (Art. 31 CISG). Den Schaden trägt dann im Fall der Güter auf der EVER GIVEN also der Käufer. Häufiger ist die Gefahrtragung aber entweder individuell oder aber durch Einbeziehung der Incoterms® 2020 oder früherer Versionen in den Kaufvertrag geregelt. In den Incoterms® ist die Transportgefahr und die Verpflichtung zur Eindeckung einer Transportversicherung geregelt. Die Regelungen in den einzelnen Klauseln reichen dabei von einem Übergang der Transportgefahr bei Abholung bis zum Übergang bei Ablieferung. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass unabhängig von der Gefahrtragung beide Parteien einen Schaden erleiden können, beispielsweise wenn der nicht die Gefahr tragende Empfänger seinem Kunden gegenüber nicht liefern kann und im Verhältnis zu diesem Schäden zu tragen hat, die sein Lieferant nicht ersetzen muss.

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Erst legte sich die EVER GIVEN im Suezkanal quer, nun halten die Behörden das Containerschiff, das zu den größten der Welt gehört, mit seiner Ladung von tausenden Containern fest. Hunderte Schiffe stauten sich in der Folge vor den Einfahrten des Suezkanals und konnten ihre Fahrt nicht fortsetzen. Vielen Unternehmen sind durch diesen Vorfall erhebliche Kosten und Schäden entstanden, sei es durch Luftfracht für Ersatztransporte, sei es durch die Verspätung selbst. Wer kommt für diese Kosten auf?

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Die zeitweilige Blockade des Suezkanals durch die EVER GIVEN trifft den weltweiten Handel in einer angespannten Situation. Wegen der in den letzten Monaten aufgrund der Pandemie gestiegenen Nachfrage sind kaum Container verfügbar und die Frachtraten sind in der Folge stark gestiegen. Hierdurch müssen viele Unternehmen ohnehin mit gestiegenen Kosten und Lieferverzögerungen leben. In den ersten Berichten über die Havarie der EVER GIVEN und ihre Folgen ging es fast immer um die unmittelbaren Schäden für die Kanalbehörde, die Eigner und eventuell wartende Schiffe, z.B. durch Bergekosten, die Schäden aus der Blockade des Suez-Kanals durch ausgefallene Nutzungsentgelte, Infrastrukturschäden oder Ansprüche anderer Reeder oder Eigner gegen die Eigner der EVER GIVEN.

Diese Schäden, so hoch sie auch sind, berühren wenige von dem Desaster Betroffene. Für die meisten Unternehmen, deren Waren sich auf der EVER GIVEN oder den wartenden Schiffen befanden oder noch befinden, stellen sich andere Fragen, insbesondere wer die Schäden, die ihnen durch die Verzögerungen entstanden sind, zahlt.

GENERAL AVERAGE

Die Eigner der EVER GIVEN haben am 01.04.2021 General Average erklärt. Unternehmen, deren Ware sich zurzeit auf der EVER GIVEN befindet, sollten inzwischen Post von Richards Hogg Lindley erhalten haben mit der Aufforderung, Sicherheit für den auf sie entfallenden Anteil an den Rettungskosten zu leisten. In der Regel wird diese durch eine Average Guarantee des Transportversicherers gestellt, ohne die die Ware bei Ankunft im Hafen nicht herausgegeben wird.

Die General Average ist ein Verfahren, mit dem Schäden und Kosten, die der Kapitän eines Schiffes vorsätzlich verursacht hat, um Schiff und Ladung aus einer gemeinsamen Gefahr zu retten, auf das Schiff und die Berechtigten an der Ladung verteilt werden. Die Eigner werden hier also versuchen, die Kosten, die für die Bergung des Schiffes aufgewandt wurden, anteilig von den Ladungsbeteiligten zurückzufordern.

Die genaue Ursache, die zur Havarie der EVER GIVEN geführt hat, ist noch ungeklärt. Sollte die Ursache auf ein Verschulden der Eigner zurückzuführen sein, könnten diese nach deutschem Recht zum einen keinen Ersatz für ihren Schaden verlangen, zum anderen wären sie den anderen Beteiligten für deren Beiträge schadenersatzpflichtig. Das ist bei der Anwendbarkeit anderer Rechtsordnungen häufig nicht der Fall. Es bleibt daher abzuwarten, ob Einwendungen gegen die General Average erhoben werden können.

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A breach of specific contractual agreements constitutes qualified fault and leads to unlimited liability of the carrier.

The carrier’s liability for losses caused in its custody is limited. The lower the weight and the higher the value of the goods, the greater is the gap between the consignor’s damage and the compensation the carrier has to pay. Only in the case of willful misconduct or reckless fault, the limitations of liability do not apply. It is therefore not surprising that questions of such qualified fault and thus of unlimited liability are of great importance for shippers and carriers.

In legal proceedings conducted by us before the Hanseatic Higher Regional Court (Hanseatisches Oberlandesgericht) of Hamburg, the court again clarified in a notice in June of this year that a breach of specific contractual agreements constitutes qualified fault.

The case concerned a consignment of cigarettes to be transported within Germany. During a stop on an unguarded motorway station over the weekend, the trailer was cut open and a considerable number of cigarettes were stolen. However, it was contractually agreed between the shipper and the carrier that overnight stops were only permitted with the shipper’s prior consent. The Higher Regional Court (Oberlandesgericht) of Hamburg, which only rarely assumes a qualified fault, saw the breach of this clear regulation as a qualified fault leading to unlimited liability.

In the same way the Regional Court (Landgericht) of Bremen decided a few months earlier in its judgement of June 6, 2018, file no. 11 O 169/17: Clauses in a transportation contract according to which stops are only permitted on guarded and video-monitored parking lots are valid. If the carrier does not adhere to these requirements, he acts, according to the judgment, at least recklessly and is liable without limitation.

Consignors of theft-prone goods should therefore agree in the contract that only guarded parking lots are permitted for stops, and carriers, if they consent to such agreements, should inform their drivers or subcontractors accordingly, otherwise unlimited liability is imminent.

                                                       Robert N. Kuss, LL.M. oec.