In Folge des Ukraine-Krieges haben sich die Produktions-, Transport- und Beschaffungskosten für viele Waren zum Teil drastisch erhöht. Dies kann bei Vereinbarung eines Festpreises mit dem Abnehmer, der noch auf den alten Rohstoff- und Energiepreisen kalkuliert wurde, zu einer Gefährdung der Existenz des Lieferanten führen. Für viele Unternehmen stellt sich angesichts dessen die Frage, ob sie die gestiegenen Kosten an ihre Abnehmer weitergeben können.

 

 

Die Praxis zeigt, dass viele Abnehmer tatsächlich offen für Gespräche über Preisanpassungen sind. Der Verlust eines guten Lieferanten und die Gefährdung von laufenden Projekten auch noch aus diesem Grunde können nicht in ihrem Interesse liegen, zumal die Ersetzung des Partners ebenfalls zur Zahlung aktueller (erhöhter) Preise führen würde. Auch die öffentliche Hand scheint davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer Vertragsanpassung aufgrund des Krieges in der Ukraine grundsätzlich vorliegen können.[1]

Ist der Geschäftspartner aber nicht zu einer Nachverhandlung des Preises bereit, bleibt in der Regel nur noch der Weg, eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage zu verlangen. Wann kommt diese Möglichkeit für Unternehmen in Betracht, welche Hindernisse stellen sich dabei und was muss bei der praktischen Durchsetzung des Anspruchs beachtet werden.

Bei der „Störung der Geschäftsgrundlage“ handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, das einer Vertragspartei die einseitige Anpassung des Vertragsinhalts gestattet, wenn das Festhalten am bisherigen Vertragsinhalt für ihn aufgrund veränderter äußerer Umstände unzumutbar geworden ist, § 313 BGB. Der Vertragspartner wird dadurch an einen Vertragsinhalt gebunden, dem er so überhaupt nicht zugestimmt hat. Vor dem Hintergrund gestiegener Produktions- und Beschaffungskosten bedeutetdies, dass der Abnehmer für die Ware einen deutlich höheren als den ursprünglich vereinbarten Kaufpreis bezahlen muss, obwohl das Risiko sich verändernder Kosten für zu liefernde oder herzustellende Ware grundsätzlich beim Verkäufer liegt. Da es sich dabei um einen besonders schweren Eingriff in die Vertragsfreiheit dieser Vertragspartei handelt, werden an das Vorliegen einer Störung der Geschäftsgrundlage besonders hohe Anforderungen geknüpft.

VORAUSSETZUNGEN DER STÖRUNG DER GESCHÄFTSGRUNDLAGE

Zunächst darf sich die Unzumutbarkeit gestiegener Beschaffungs- und Produktionskosten für den Verkäufer der Ware nicht anderweitig abwenden lassen. Kann er den Vertrag bspw. noch widerrufen oder anfechten, so muss er diese Möglichkeiten vorrangig ausschöpfen. Auch wenn vertragliche Instrumente, wie bspw. eine vereinbarte Preisgleitklausel, greifen, kann sich der Verkäufer in der Regel nicht auf eine Störung der Geschäftsgrunlage berufen. Zudem muss der Verkäufer in der Lage sein, seinen Teil des Vertrags überhaupt noch zu erfüllen. Ist ihm die Beschaffung oder Herstellung der Ware bspw. wegen eines Rohstoffembargos oder anderweitig unterbrochener Lieferketten auf absehbare Zeit nicht mehr möglich, so entfällt bereits seine Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB.

Kommt keine der vorgenannten Alternativen in Betracht, greift als „ultima ratio“ der Vertragsanpassungsanspruch wegen Störung der Geschäftsgrundlage. Hierfür muss zunächst die Geschäftsgrundlage des Vertrags nach Vertragsschluss gestört oder vollständig weggefallen sein. Dies betrifft einerseits die objektive Geschäftsgrundlage, d.h. die Veränderung von Umständen, die für den Vertragsschluss erkennbar vorausgesetzt wurden, sowie die Störung der subjektiven Geschäftsgrundlage, d.h. der gemeinsamen Überzeugungen von Vorliegen und Entwicklung der tatsächlichen Umstände des Vertrags. Im Rahmen seiner Covid-19-Rechtsprechung hat der BGH die Geschäftsgrundlage entsprechend definiert als „die Erwartung der vertragsschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde“ (BGH, Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21). Im Rahmen von Liefer- und Herstellungsverträgen bildet somit die Erwartung der Parteien, dass sich die Kosten für die vereinbarte Ware innerhalb der marktüblichen Preisschwankungen bewegen, regelmäßig die Geschäftsgrundlage des Vertrags. Die nur von wenigen Experten vorhergesehene Eskalation des Krieges am 24.02. diesen Jahres durch Russland und die damit einhergehende Vervielfachung der Kosten für die Beschaffung und Herstellung von Waren erfüllt zweifellos diese Voraussetzungen. Allerdings gilt dies freilich nur dann, wenn der Vertrag vor dem 24.02.2022 geschlossen wurde.

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