Während der Lagerung und dem Transport von Arzneimitteln muss häufig eine konstante Temperatur eingehalten werden, die in der Zulassung verbindlich vorgeschrieben wird. Wird die Kühlkette unterbrochen oder treten Temperaturschwankungen auf, verliert das Medikament in der Regel seine Verkehrsfähigkeit. Eine gewisse Aktualität gewann diese Art von Transportschäden in den letzten Monaten durch COVID-19-Impfstoffe, die bei extremen Temperaturen gelagert und transportiert werden müssen. Aber auch bei anderen Arzneimitteln stellen sich eine Reihe von Fragen im Hinblick auf die Sorgfalt bei Transport und die Haftung.

Ein wenig Prominenz in der öffentlichen Berichterstattung hat diese Problematik dadurch erlangt, dass beispielsweise der COVID-19 Impfstoff von Biontech/Pfizer bei -70 °C transportiert und gelagert werden muss. Die Einhaltung dieser Temperatur stellt enorm hohe Anforderungen an die Logistik. Angesichts des Versandes von über einer Milliarde Dosen des Impfstoffs treten Schäden fast zwangsläufig ein. Auf der anderen Seite handelt es sich nicht um ein Sonderproblem dieses Impfstoffs, sondern es werden täglich große Mengen von Medikamenten versandt, bei denen eine bestimmte Lager- und Transporttemperatur einzuhalten ist. Welche Konsequenzen haben aber Kühlkettenunterbrechungen oder die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Temperatur in haftungsrechtlicher Hinsicht?

Bei Temperaturabweichungen während des Arzneimitteltransports bestehen zwei Besonderheiten: Zum einen führt eine Kühlkettenunterbrechung bei Medikamenten in der Regel nicht zu einer äußerlich erkennbaren Substanzveränderung. Manchmal wirkt sich die Kühlkettenunterbrechung vielleicht gar nicht unmittelbar auf das Medikament aus, sondern nur durch eine Verkürzung der Lebensdauer. Worin besteht also dann der Schaden, wenn Temperaturabweichungen festgestellt werden?

Darüber hinaus sind Medikamente teuer und leicht. Die Haftung des Frachtführers ist je nach Transportmodalität auf Beträge zwischen 2,50 EUR[1] und 28,– EUR/kg[2] begrenzt. Der Schaden übersteigt dementsprechend die Regelhaftung der Frachtführer erheblich. Der Frachtführer haftet nur dann unbegrenzt, wenn ihm ein leichtfertiges oder vorsätzliches Verschulden vorzuwerfen ist.

Die Fragen nach dem Schaden und der unbegrenzten Haftung stellen daher die Schwerpunkte bei Auseinandersetzungen über Kühlkettenunterbrechungen bei Arzneimitteltransporten dar.

In den letzten drei Jahren haben das OLG Frankfurt[3], das OLG Zweibrücken[4] und das LG Köln[5] über solche Schäden entschieden. Alle Entscheidungen kamen jeweils zu dem Ergebnis, dass bereits die Kühlkettenunterbrechung an sich zu einem Totalschaden geführt hat und der Frachtführer sich bei unzureichender Kontrolle der Temperatur während des Transports nicht auf eine Haftungsbegrenzung berufen kann.

BESCHÄDIGUNG DURCH SCHADENSVERDACHT

Im Transportrecht wird als Beschädigung grundsätzlich die Veränderung der Substanz des transportierten Gutes betrachtet. Eine Ausnahme stellt dabei der begründete Verdacht einer solchen Substanzveränderung dar. Daher hat das OLG Frankfurt einen Totalschaden schon aufgrund des Verdachts einer Substanzveränderung angenommen, „wenn er zu einer Wertminderung des Gutes geführt hat, weil er entweder Tests notwendig macht oder er objektiv nicht ausgeräumt werden kann. Objektiv nicht ausräumbar ist etwa der Verdacht, der Anlass für ein Verbot der Verwertung des Gutes oder für ein Einfuhrverbot ist oder der Verdacht, der nur unter Kosten ausgeräumt werden kann, die voraussichtlich höher sind als der Wert des Gutes (BGH, Urt. v. 11.7.2002, I ZR 36/00, juris Rn. 15; Koller, Transportrecht, 10.A. 2020, Art. 17 CMR, Rn. 2, § 425 Rn. 13).“

Zusätzlich hat für das Oberlandesgericht vorliegend noch ein zweiter insbesondere bei Arzneimitteln und Lebensmitteln wichtiger Gesichtspunkt zur Annahme eines Totalschadens geführt. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurden Pentaglobin-Ampullen nicht bei der vorgeschriebenen Temperatur zwischen +2 °C und +8 °C gelagert und transportiert, sondern bei höheren Temperaturen. Der Sachverständige hatte festgestellt, dass bei zu hohen Temperaturen Bestandteile des Medikaments denaturieren und sich zusammenschließen können. Da das Medikament bei Temperaturen von 15 °C bis 21,9 °C befördert wurde, habe es nach Auffassung des Gerichts daher seine Verkehrsfähigkeit verloren und durfte nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Dieses arzneimittelrechtliche Verbot sei als solches schon als Beschädigung im Sinne des Art. 17 CMR zu bewerten gewesen.

UNBESCHRÄNKTE HAFTUNG

Liegt also ein Totalschaden unter den genannten Gesichtspunkten vor, stellt sich die Frage nach dem Umfang der Haftung des Frachtführers. Der Frachtführer haftet nach deutschem Recht sowie den meisten nationalen und internationalen Haftungsordnungen begrenzt. Die Haftungsbegrenzungen sind in der Regel vom Gewicht der transportierten Güter abhängig. So beträgt die Haftungsbegrenzung bei Straßentransporten in Deutschland und bei grenzüberschreitenden Transporten innerhalb Europas 8,33 SZR/kg, also ca. 10 EUR. Auf diese Haftungsbegrenzungen kann sich der Frachtführer aber ausnahmsweise dann nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder leichtfertig in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, herbeigeführt hat.

Ein solches Verschulden mit der Rechtsfolge einer unbegrenzten Haftung des Frachtführers haben die eingangs erwähnten Gerichte im Falle der Unterbrechung der Kühlkette angenommen.

Sowohl das OLG Frankfurt als auch das OLG Zweibrücken nahmen dabei eine Pflicht des Frachtführers an, dafür zu sorgen, dass die richtige Temperatur laufend eingehalten wird. Dies habe unter anderem dadurch zu geschehen, dass die Temperatur in zeitlichen Abständen unter Ausschöpfung aller Kontrollmöglichkeiten zu kontrollieren ist. Geschehe dies nicht, obwohl dem Frachtführer bewusst war, dass er eine bestimmte Temperatur einzuhalten habe, so handele er leichtfertig.[6] Das LG Köln hat unter Verweis auf das Urteil des OLG Zweibrücken auch für eine Zwischenlagerung entschieden, dass die Temperatur des gelagerten Gutes so zu kontrollieren ist, dass ein zügiges Einschreiten bei einem Temperaturabfall möglich sei[7] und ebenfalls ein leichtfertiges Verschulden mit der Folge einer unbegrenzten Haftung angenommen.

ERGEBNIS

Aus den zitierten Urteilen können folgende Schlüsse für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Frachtführer bei Kühlkettenunterbrechungen bei Arzneimitteln gezogen werden, die allerdings im Einzelfall zu prüfen sind:

  • Eine Unterbrechung der für Arzneimittel vorgeschriebenen Kühlkette über einen unzulässig langen Zeitraum führt in der Regel zu einem begründeten Schadensverdacht, für den der Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig ist.
  • Führt die Unterbrechung der Kühlkette dazu, dass das Medikament aus arzneimittelrechtlichen Gründen nicht mehr verkehrsfähig ist, dann liegt transportrechtlich ein Totalschaden vor.
  • Hat der Frachtführer über einen längeren Zeitraum hinweg die Kühltemperatur nicht kontrolliert und daher nicht bemerkt, dass die Kühlkette unterbrochen war und keine Maßnahmen ergriffen, kann von einem leichtfertigen Verschulden in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, ausgegangen werden. Der Frachtführer kann sich in diesem Fall nicht auf Haftungsbegrenzungen berufen.

Haben Sie weitere Fragen zu Verträgen über Arzneimitteltransporte oder Schäden wegen Kühlkettenunterbrechungen, stehen wir Ihnen zu deren Beantwortung gerne zur Verfügung.

 

Robert N. Kuss, LL.M. oec., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht und Internationales Wirtschaftsrecht

[1] 2 SZR/kg, z.B. Seetransporten

[2] 22 SZR bei Lufttransporten nach dem MÜ

[3] OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Dezember 2021 – 13 U 92/19 –

[4] OLG Zweibrücken, Urteil vom 12. März 2019 – 5 U 63/18 –

[5] LG Köln, Urteil vom 12. März 2020 – 85 O 45/18 –

[6] OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 39; OLG Zweibrücken, a.a.O., Rn. 51

[7] LG Köln, a.a.O., Rn. 34